Mittwoch, 24. April 2024, 18 Uhr c.t.
Universität Innsbruck, Institut für Archäologien, Ágnes-Heller-Haus, Innrain 52A, 6020 Innsbruck, 1. Stock/Seminarraum 11
Attila Dézsi (Universität Tübingen)
Eine Zeitgeschichtliche Archäologie der Hoffnung? Von Protestdörfern und utopischen Kolonien
In Zeiten sich verdichtender Krisen und Konflikte zeichnet die Archäologie des 19. bis 21. Jahrhunderts das „Zeitalter der Zerstörung“ und Landschaften der Massengewalt wie Zwangsarbeit nach, auch um über diese Verbrechen aufzuklären und sie zu erforschen. Was dabei jedoch aus dem Blickfeld rückt, sind Orte der Hoffnung und Aktivitäten, die sich gegen diese alltägliche Zerstörung richten. Als Diskussionsbeitrag für eine Erweiterung der Zeitgeschichtlichen Archäologie werden zwei Fundstellen und ihre – stark gegensätzlichen – gesellschaftlichen Gegenentwürfe diskutiert.
Vorgestellt werden zum einen historisch-archäologische Untersuchungen an dem niedersächsischen Anti-Atomprotestdorf „Republik Freies Wendland“ aus dem Jahr 1980, welches über einen Monat lang bestand und mit über 120 Gebäuden und gemeinsamer Infrastruktur einen Raum schuf, um gegen ein geplantes nukleares Endlager zu demonstrieren und auch alternative Formen der sozialen Organisation und Energiegewinnung zu erproben.
Zum anderen werden aktuelle Untersuchungen an einer utopischen Siedlung deutscher Ausgewanderter in Paraguay aus dem späten 19. Jahrhundert vorgestellt, welche durch Germanenideologie und Antisemitismus ihrer Gründer:innen geprägt war und frühzeitig scheiterte. Bei utopischen Siedlungen und Protestdörfern werden alternative Lebensentwürfe erprobt, welche sich auch potenziell in ihrer Raumstruktur und materiellen Hinterlassenschaften ausdrücken können.
Beide Fundorte haben jedoch nicht nur einen Niederschlag in der Landschaft, sondern auch bei den Zeitzeug:innen und Familien bleibende Erinnerungen hinterlassen. Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Orte für eine Zukunft jenseits des Zeitalters der Zerstörung bleibt zu diskutieren.
Dr. des. Attila Dézsi, M.A., Archäologe, hat Vor- und Frühgeschichtliche und Historische Archäologie in Hamburg und Wien studiert. Er ist seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart, wo er im Inventarisationsprojekt „KZ-Komplex-Natzweiler: Denkmalfachliche Evaluierung der Außenlager und Arbeitsstätten in Baden-Württemberg“ mitwirkt. Zudem forscht er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Tübingen im SFB 1070 RessourcenKulturen zur deutschen Auswandererkolonie Nueva Germania in Paraguay. Im Jahr 2023 verteidigte er seine Promotionsschrift zur Zeitgeschichtlichen Archäologie an Orten des Protests, welche Untersuchungen am Anti-Atom-Protestdorf „Republik Freies Wendland“ beinhaltete. Demokratisierung der Archäologie, Methodik und Theorie der Historischen Archäologie, sowie Fundorte von Alternativbewegungen begleiten ihn als Forschungsschwerpunkte.
Live-Stream: https://webconference.uibk.ac.at/b/bar-yun-mfb-bu8